Das Projekt

Das Projekt „Ideentransfers. Digital Humanities in der Erforschung der neueren Theologiegeschichte“ ist ein Pilotprojekt. In ihm soll erprobt werden, in welcher Weise informatische Verfahren, wie sie derzeit im Bereich der Digital Humanities entwickelt werden, für die Erschließung und vertiefte Erforschung der neueren Theologiegeschichte nutzbar gemacht werden können.

Ideentransfers stellen eine wesentliche Fragestellung theologiegeschichtlicher Forschung dar. Unter Ideentransfer wird der Austausch bestimmter Gedanken und Konzeptionen zwischen zwei Interaktanden verstanden. Neben der Weitergabe von Ideen und Traditionen im privaten und praktisch-religiösen Bereich finden Ideentransfers natürlich auch fachspezifisch im Bereich wissenschaftlicher Theologie statt. Hinzu kommen Ideentransfers durch bildungsgeschichtliche, kulturelle, politische und gesellschaftliche Faktoren. Das Ziel theologiegeschichtlicher Untersuchungen von Ideentransfers besteht darin, Beziehungen und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Ideenträgern und ihren Auswirkungen auf das jeweilige Werk des Autors zu ermitteln, ebenso deren mögliche Implikationen für praktisch-religiöse und gesellschaftspolitische Bereiche. Dabei ist insbesondere von Interesse, auf welchem Wege und durch welche Tradenten die Weitergaben erfolgen.

Jenseits von offensichtlichen Verbindungen, wie sie bei Lehrer/Schüler-Verhältnissen oder in wissenschaftlichen Netzwerken gelten können, stellt die Untersuchung von Ideentransfers eine besondere Herausforderung dar – vor allem, wenn entsprechende Bezüge in den Texten nicht explizit ausgewiesen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die derzeit gängige Zitierpraxis eine sehr junge wissenschaftliche Errungenschaft ist. Hier sind bis in die 1970er Jahre hinein viele Schriften nicht mit dem heutigen Zitierstandard vergleichbar, wenn sie überhaupt Aufschluss über ihre verwendeten Quellen geben. Wertvolle Indizien für Ideentransfers bieten daher neben den Hauptwerken vor allem Einblicke in die jeweilige Werkgeschichte, etwa durch Briefe oder Tagebucheinträge, die Aufschluss darüber geben können, mit welchem Werk oder welchen Gedanken sich ein Autor zu einem bestimmten Zeitpunkt auseinandergesetzt hat. Je nach Umfang dieser Aufzeichnungen erhibt sich ein mehr oder weniger differenziertes Bild über die ideengeschichtliche Prägung einer Person und ihres Werkes.

Die Erschließung solcher Ideentransfers hilft, das kulturelle und theologische Erbe auf differenzierte Weise zu sichten, gleichzeitig die theologischen Werke einzelner Autoren auf die in ihnen verarbeiteten Einflüsse und Prägungen hin zu beurteilen und ein plastischeres Bild der Theologiegeschichte zu gewinnen.

Den Gegenstand dieses Projekts bilden Schriften zur protestantischen Ethik in der Bundesrepublik Deutschland von 1949-1989. Texte aus dieser Zeit prägen das Verständnis der wissenschaftlichen Theologie, der kirchlichen Praxis und des gesellschaftlichen Diskurses bis in die Gegenwart. Doch gibt es bisland nur wenige Versuche, gerade diese Schriften in ihrer theologie- und ideengeschichtlichen Bedeutung genauer zu untersuchen. Jeder Versuch einer Darstellung dieser Epoche steht zugleich vor den spezifischen Problemen der Zeitgeschichtsforschung, nämlich dem Nebeneinander einer nahezu unübersehbaren Fülle an Quellenmaterial und deutlichen, durch Mobilität und Kommunikationstechniken bedingten dokumentarischen Lücken. Beides lässt den Einsatz computergestützer Analyseverfahren besonders aussichtsreich erscheinen: Mit ihrer Hilfe soll die bislang vorherrschende, eher schablonenhafte und an Schulpositionen orientierte Sichtweise auf die Theologiegeschichte der alten Bundesrepublik differenziert werden.

Das Projekt wird von Prof. Dr. Christian Albrecht und Prof. Dr. Reiner Anselm getragen und ist an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angesiedelt.

Das Forschungsvorhaben ist notwendigerweise interdisziplinär ausgerichtet und erfolgt in enger Kooperation mit Fachexperten aus dem Bereich der praktischen Informatik, Korpuslinguistik, Computerlinguistik und Computerphilologie.

Ziel des Projekts soll sein, anhand repräsentativer Einzelbeispiele zu erproben, welche Voraussetzungen der digitale Datenbestand für eine automatisierte Weiterverarbeitung erfüllen muss, welche informatischen Verfahren geeignet wären, um sichere, quantitative und qualitative Ergebnisse liefern zu können und wie informatische Verfahren in die fachspezifische Methodik integriert werden können. Es wird in Anlehnung an andere, derzeitige Projekte in diesem Bereich erwartet, dass sich die Methoden der Digital Humanities mit Gewinn auf die theologiegeschichtliche Untersuchung von Texten anwenden lassen.

Die Resultate werden nach Möglichkeit in geeignete Forschungsumgebungen und Repositorien zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt.

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